Nutzerforschung
in wissenschaftlichen Bibliotheken - Regionalnutzende an der ULB Darmstadt
Dienstleistungs- und Kundenorientierung
spielen im Alltag wissenschaftlicher Bibliotheken mittlerweile eine entscheidende
Rolle. Im Gegensatz zu Hochschulbibliotheken an Universitäten, bei denen
sich die Kundengruppen relativ klar definieren lassen, ist das Umfeld der Kunden
von Regional- und Landesbibliotheken sehr heterogen. Die ULB Darmstadt erfüllt
hierbei eine klassische Doppelaufgabe: als Universitätsbibliothek ist sie
für die Medienversorgung aller Universitätsangehörigen der TU
Darmstadt zuständig und in ihrer Funktion als Landesbibliothek zugleich
auch Ansprechpartnerin für alle interessierten Kunden aus der unmittelbaren
Region. Während die Bedürfnisse der Studierenden und Lehrenden an
der ULB bereits mehrfach durch Nutzerbefragungen erhoben wurden, sind die Wünsche
und Bedürfnisse der sog. Regionalnutzenden (also außerhalb der TU
Darmstadt) weitgehend unbekannt.
Hier setzt das Masterprojekt
an: Wie lassen sich die Bedürfnisse und Wünsche speziell der sog.
Regionalnutzenden methodisch am besten eruieren? Gemeinsam mit der ULB Darmstadt
wollen wir das passende Forschungsdesign für diese Fragestellung konzipieren
und dabei auch grundlegende Begriffe und Methoden der sog. Nutzerforschung in
Bibliotheken kennenlernen.
Im Zentrum der Exploration
stehen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte der
gymnasialen Oberstufe ab E-Phase (Einführungsphase um die 10.
Klasse beim Übergang von Mittel- und Oberstufe) an Gesamtschulen, Fachoberschulen
(FOS) sowie berufliche Gymnasien in Südhessen (Stadt DA, Stadt OF sowie
die Landkreise Bergstaße, DA-DI, GG, Odenwaldkreis, Offenbach und Wetteraukreis).
Dabei lautet die Fragestellung:
"Wie kann die ULB trotz begrenzter Personalkapazitäten effektiv
sicherstellen, dass die relevanten Inhalte ihrer Veranstaltungen im Bereich
Informationskompetenz-Vermittlung möglichst viele Schüler*innen in
ihrem Zuständigkeitsbereich erreichen?"
Geplant für
das SoSe 2024: 1. Online-Befragung inklusive Fragebogen-Entwicklung.
(Fertigstellung bis 23.6.) 2. Experteninterviews mit ausgewählten
Schulen/Bildungspartnern inklusive Leitfaden-Erstellung (ab Ende August 2024;
ULB unterstützt hier evtl. durch weitere Interviewer*innen)
Literatur (aus dem Vorgänger-Projekt):
Lengauer, Ulrike: Nutzer*innen
aus der Region, die unbekannten Wesen (PPT von der Bibliocon Hannover, 1.6.2023)
Weiterführende Informationen
zum Einstieg
A. Methodenliteratur
insbesondere zur Nutzerforschung in Bibliotheken
- Quantitative
Befragung - knb Bibliotheksportal
- Siegfried, D. / Nix,
S.: Nutzerbezogene
Marktforschung für Bibliotheken, Berlin 2014 (sehr gutes Standardwerk
mit zahlreichen Praxisbeispielen)
- Umlauf, K. / Fühles-Ubach,
S. / Seadle, M. (Hrsg.): Handbuch Methoden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft,
Berlin 2013
- Umfragen
- Einführung, Konstruktion eines Fragebogens, Auswertung (Fokus ÖB;
ÖBIB)
- Qualitative Nutzerforschung
in Bibliotheken - Filmreihe
der HAW Hamburg, 2012
B. Mögliche
Aufgaben und erste Hinweise für die Projektteams
- Team 1: Befragung Regionalkunden
per Fragebogen (online/gedruckt)
- Team 2: Interview Fokusgruppe
(Leitfadengestützte Interviews mit ausgewähltem Nutzerkreis der
Regionalkunden sowie weiterer relevanter Institutionen)
- [Team 3: Befragung Nichtnutzer
unter den Regionalkunden
- Beispiel: Tepest,
A.: Konzeption u. Durchführung einer Nichtnutzer-Befragung als
Marktforschungsinstrument der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen,
HAW Hamburg, Diplomarbeit 2006 (300 Personen befragt, Stichprobenauswahl
mittels abgewandeltem Quota-Verfahren)]
- [optional: Team 4
(wenn Team 1-3 bereits vergeben!): Austesten einer nonreaktiven Nutzerforschung
bei den Regionalkunden (inkl. Benchmark vergleichbarer Bibliotheken)
C. Konkrete Fragestellungen
- Regionalnutzende
von Landesbibliotheken / Präzisierung
- Oberstufenschüler*innen
und Lehrkräfte
- Auszubildende
- Beschäftigte
der Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, Behörden, Vereine Verbände,
Kulturinstitute u. Betriebe der Region
- Personen mit privatem
regionalbezogenen Forschungsinteresse (z.B. Heimat-, Geschichts-, Familienforschung
...)
- Personen mit privatem
(sonstigen) Forschungsinteresse
- Konkrete Fragestellungen
im Zusammenhang mit der Regionalnutzung
- Informations-
und Medienkompetenz
- welche Themen sind hier speziell interessant?
- Wann, wo und
wie sollten diese vermittelt werden?
- Wie bekannt sind
die Angebote und werden diese bereits genutzt?
- Auf welchen Kanälen
können diese Angebote beworben werden?
- Möglichkeiten
der Zusammenarbeit
- Was bieten andere
Einrichtungen u. Bibliotheken in Darmstadt?
- Möglichkeiten
der Kooperation
- Was machen
andere Bibliotheken ganz konkret?
- Verweis auf
bereits bestehende Angebote
- Abzufragende
Themen (in Absprache mit der ULB) - erstes Brainstoarming
- Räumlichkeiten
u. Services
- Recherche in TUfind
- Recherche in Datenbanken
- Recherche Sonderthemen:
Digitalisate Heimatforschung
- Zitieren
- Literaturverwaltung
- Provenienzforschung
- Regionale Themen
- Fake News
- Analoge und Digitale
Formate
- Rundgänge
im Haus
- Exkusionen
- Leisungen
- Workshops
- Vorträge
- Videotutorials
- Sprechstunden
- Infomaterialien
D. Nutzerforschung
in Bibliotheken / erste Stichpunkte
- seit ca. Ende des 20.
Jh. Paradigmenwechsel in Bibliotheken: Entwicklung von der Bestands- hin zur
Nutzer-/Kundenorientierung
- seit dem Jahr 2000
stärkerer Aufschwung, u.a. bedingt durch ...
- digitale Bibliotheksangebote,
die neue Evaluierungsinstrumente erforderlich machen
- Legitimationsdruck
gegenüber den Unterhaltsträgern und der Öffentlichkeit
- auch Managementtrends
im Sinne einer effektiven öffentlichen Verwaltung
- Anlässe der Nutzerforschung
sind vielfältig
- Einführung neuer
Angebote
- Struktur und Nutzerverhalten
der Kunden besser kennen lernen
- Erkenntnisse von Nutzerforschung
- kann bereits vorhandene
Vermutungen bestätigen
- oder auch neue, überraschende
Ergebnisse liefern sowie weitere Fragestellungen aufwerfen: mit heterogenen
Stimmungsbildern unter den Kunden ist durchaus zu rechnen
- signalisiert den
Kunden, dass ihre Wünsche u. Bedürfnisse von der Bibliothek
ernstgenommen werden
E. Wesentliche Arbeitsschritte
bei Befragungen
- Ziele festlegen:
Was soll überhaupt ermittelt werden mit welchen Erhebungsinstrumentarien?
- z.B. Fragebogen in
schriftlicher Form - und/oder Durchführung von Interviews
- Online-Befragungen
- Stichprobe bestimmen
- Zufallsstichprobe
(gute Repräsentativität) oder stärkere Auswahl von speziellen
Kundengruppen
- Fragebogengestaltung
- Fachsprache in kundengerechte
Sprache übertragen (Operationalisierung, d.h., was will man eigentlich
messen/in Erfahrung bringen?)
- Beschränkung
der Fragekomplexe möglichst unter 30 Fragen
- Pretest durchführen
- Datenauswertung
(Häufigkeiten, Mittelwerte, graphische Darstellungsmöglichkeiten
nutzen)
- Ergebnisse präsentieren
und interpretieren
- z.B. als Publikation
oder Veröffentlichung in Kurzform auf der Website etc.
F. Einzelfragen
(Quellenangabe jeweils in Anlehnung an Siegfried/Nix 2014)
Team 1
- (Online-)Befragung sowie evtl. gedruckte Bögen zur Verteilung
in der ULB
- generelle Fehler
bzw. Todsünden bei der Befragung (S. 60ff.)
- überlange Befragungen
- Richtwert: online
15 bis max. 25 Fragen; schriftliche Bögen maximal 20 Fragen;
Face-to-face max. 45 Minuten
- Auslösen von
sog. Beantwortungstaktik (z.B. Lernen aus vorhergehenden Fragen, Wahl
der immer gleichen Anwortvorgabe, z.B. mittlere Skalenwerte etc.)
- bibliothekarisches
Fachvokabular sowie weitere unverständliche Formulierungen
- Verwendung von ausschließlich
offenen Fragen
- Erklärungsbedürftige
Sachverhalte werden nicht näher erläutert
- schlechte Web-Typographie:
zu kleine Schriftgröße, zu lange Bildschirmseiten (Scrollen!)
- Anwortprozess
der Befragten im Auge behalten (Verständnis der Frage -- Suche
nach entsprechenden Infos im Gedächtnis -- Beurteilung und Einschätzung
-- Formulierung der Antwort)
- Startseite mit Einleitungstext auf die Fragen ...
- um welches Thema geht es?; Ziel der Befragung; wer
ist für die Befragung verantwortlich?; wie lange wird die Befragung
dauern?
- spezifische Fragen
formulieren: "Haben Sie in letzter Zeit größere Recherchen
durchgeführt?" - besser: "Haben Sie in den letzten 6 Monaten
für ein Projekt oder eine Arbeit länger als 1 Stunde am Stück
nach Fachliteratur recherchiert?"
- Wie, Wer, Was und
Wann verdeutlichen: "Wie häufig nutzen Sie Dokumentenserver?"
- besser: "Wie häufig haben Sie in den letzten 12 Monaten die
wirtschaftswissenschaftlichen Dokumentenserver EconStor und SSRN genutzt
und sich dort Open-Access-Dokumente heruntergeladen?"
- festlegen, wie geantwortet
werden soll: ja/nein - Schulnotenskala, Skala mit Abstufungen "sehr
zufrieden" - "einigermaßen zufrieden" - "wenig
zufrieden" - "überhaupt nicht zufrieden"
- einfache und kurze
Sätze verwenden; doppelte Verneinungen vermeiden
- geschlossene Fragen
verwenden
- Ausmaße und
Häufigkeiten durch konkrete Zahlen beschreiben: "Gehen Sie oft
in den Lesesaal?" - besser: "Wie oft gehen Sie durchschnittlich
pro Woche in den Lesesaal?"
- nur einen Fragenkomplex
pro Frage gleichzeitig stellen
- Vorabfragen / Filterfragen
verwenden
- Generalisierung wie
"alles" oder "immer" vermeiden
Team 2 - Individuelle
Einzelinterviews / Leitfadeninterviews
- generell: die anzusprechenden
Themen mittels eines groben Leitfadens (der aber immer noch genügend
Flexibilität bietet) strukturieren, evtl. auch in Form eines Mindmaps
(s. Beispiel speziell auf S. 89)
- Checkliste für die Interviews
- habe ich bereits eine passende
Auswahlstrategie, um Auskunftspersonen zu gewinnen und weiß ich,
wie ich am besten den Kontakt zu ihnen herstelle?
- bin ich inhaltlich ausreichend
vorbereitet?
- weiß ich, wie
ich in das Gespräch einsteigen kann (persönliche Vorstellung,
Grund der Kontaktaufnahme, thematische Einführung, Zusicherung von
Anonymität, Einholung der Genehmigung zur Aufzeichnung des Gesprächs
...)?
- habe ich Strategien,
falls das Gespräch zäh verlaufen oder gar stocken sollte?
- habe ich ein "offenes
Ohr" auch für neue, überraschende, unerwartete Mitteilungen
der Befragten?
[Team
3 - Nichtkundenbefragung - Face-to-face-Interviews
(S. 71ff.) u. ergänzend online-Befragung über SM-Kanäle
- generell: möglichst
kurzer und verständlicher Fragebogen (max. 20 Fragen, bei max. 45 Minuten
Interviewdauer); Befragungsort mit angemessener Atmosphäre
- Interviewer-Schulung
- keine Person zur
Befragung drängen
- einleitende Sätze:
Worum geht es und wie lange wird die Befragung dauern
- Fragen neutral vorlesen;
nichts vereinfachen; keine Fragen überspringen
- Fragen nicht weiter
erklären. Bei Verständnisproblemen nochmals vorlesen - ansonsten
zur nächsten Frage
- grundsätzliche
Fragen/Erkundigungen des Befragten erst am Ende des Interviews beantworten]
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