Mastermodul
"Persönliches Informationsmanagement von Forschenden - Theorie und
Praxis"
Die Beobachtung und Analyse
des persönlichen Informationsmanagements von Wissenschafltern - im Sinne
eines persönlichen "Information Handling" - ist methodisch noch
relativ ungesichert. Zwar gibt es innerhalb der Informationswissenschaft die
Teildisziplin der Informationsverhaltensforschung ("Information Behaviour");
allerdings sind die Herangehensweisen und Untersuchungsmethoden auf diesem Gebiet
zum Teil methodisch nur unzureichend nachvollziehbar, so dass bei Forschungsergebnissen
der Information Behaviour die Wissenschaftlichkeit (im Sinne von reliablen und
validen Ergebnissen) angezweifelt wurde. (Vgl. Hobohm 2013, S. 139).
Im theoretischen Teil des
Seminars werden wir uns mit dem grundlegenden Instrumentarium des persönlichen
Informationsmanagements (PIM) von Forschenden beschäftigen, das im Wesentlichen
die operativ-administrativen Aufgaben des Informationsmanagements im Zusammenhang
mit einer individuellen Informationsverarbeitung umfasst. Dieser persönlich
zu managende sog. Informationsraum (auch als Personal Information Collection,
PIC bezeichnet, vgl. Hobohm, 2013, S. 122) reicht von der Recherche über
die Erfassung und Organisation bis hin zur Verarbeitung und Speicherung (u.
gegebenenfalls auch der Publikation) von wissenschaftlich relevanten Forschungsergebnissen,
Dokumenten, Nachrichten, Kontakten sowie Terminen. Im Zuge der Digitalisierung
und der beständig wachsenden Menge an zu verarbeitenden Informationen ("Informationsflut")
ist ein gutes PIM im Wissenschaftsbetrieb der Hochschulen - auch im Sinne des
"open science"-Gedankens - unverzichtbar. Mittlerweile stehen dem
Forschenden zur Unterstützung des PIM eine Vielzahl von nützlichen
Forschungstools zur Verfügung, die wir exemplarisch betrachten
werden.
Im praktischen Teil des
Seminars werden wir an einer bzw. mehreren ausgewählten Kohorte(n)
von Forschenden deren PIM im Rahmen ihrer Forschungstätigkeiten
explorativ durch Befragungen untersuchen. Hier wird es die Möglichkeit
geben, sich einerseits auf das von den Befragten verwendete Instrumentarium
und dessen Einschätzung und Relevanz für den Forschungsprozess
ODER auf deren konkretes Informationssuchverhalten (sog. Information
Seeking Process) zu fokussieren.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen
wird es zudem möglich sein, curriculare Inhalte für Schulungsmaßnahmen
von Kursen im Rahmen von Hochschulveranstaltungen abzuleiten.
Erste Hinweise u. wichtige
Quellentexte zum Thema
A. Theorie
- für den ersten thematischen
Einstieg ...
- *Wörndl,
W. / Schlichter, J.: Persönliches Informationsmanagement, in:
Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik - online Lexikon (Stand 2019)
- Hobohm, H-C.: Informationsverhalten
(Mensch und Information), in: Kuhlen, R. / Semar, W. / Strauch, D. (Hrsg.):
Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, 6. Aufl., Berlin
2013, Kap. A9, S. 109-125
- Hobohm, H.-C.: Erhebungsmethoden
in der Informationsverhaltensforschung, in: Kuhlen, R. / Semar, W. / Strauch,
D. (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation,
6. Aufl., Berlin 2013, Kap. A12, S. 139-142
- Polly,
A. / Sperling, P. / Mundt, S.: Informationsverhalten von Forschern am
Beispiel der Hochschule der Medien, Forschungsprojekt Berufsbegleitender
Masterstudiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement, 2014
- **Droese,
K: Informationsverhalten im Kontext wissenschaftlicher Arbeit, in: Bibliothek.
Forschung u. Praxis 36 (2012), S. 94-103 (sehr guter, einführender
Text)
- *Glöß,
F.: Das Informationsverhalten in der Filterblase, eine explorative Untersuchung
zum Informationsverhalten im Internet, Masterarbeit, FH Potsdam, 2015;
hier insbesondere Kapitel 3 "Grundlagen zum Informationsverhalten
und Informationssuchverhalten", S. 22-55
- *Lush,
A.: Fundamental
personal information management activities - organisation, finding and
keeping - a literatur review, in: The Austration Library Journal 63 (2014),
S. 45-51
- Palmer,
C. / Teffeau, L. / Pirmann, C.: Scholarly information practice in
the online environment - themes from the literature and implications for
library service development, Dublin OH: OCLC, 2009
- Bruce,
H.: Personal, anticipated information need, in: Information Research
10 (2005)
- **Auth,
G. et al.: Digitalisierung des Forschungsprozesses aus Sicht von Forschenden
- durch Seviceintegration zum persönlichen Forschungsinformationssystem,
in: Barton et al. (Hrsg.): Hochschulen in Zeiten der Digitalisierung,
Berlin 2019, S. 287-307
- erste
Erkenntnisse zum PIM von Forschenden / digitale Unterstützung und
Services (neuere Tendenzen)
- Ausgewählte (digitale)
Forschungstools für das PIM ...
- Mögliches
Kategorisieren der Forschungstools entlang des Forschungsprozesses
- weiter fokussiert:
Explore the literature --> Find and share data --> Connect with
others --> at the bench and in the office --> Write --> Publish
--> Evaluate research
- enger fokussiert:
Literatur-Recherche --> Text-Analyse (zielgerichtetes Lesen und Auswerten)
--> Literatur-Verwaltung (Sichern, Ordnen, Exzerpieren) --> Literatur-Verwertung
(Einfügen von Referenzen u. Zitaten, Literaturverzeichnis erstellen)
- Kruse,
O, / Rapp, C.: Digitalisierung des wissenschaftlichen Arbeitens: Bestandsaufnahme
und Perspektiven (2022, insbesondere Graphiken S. 5 und S. 8/9)
- 30
Tools und Ressourcen für wissenschaftliche Arbeit (Octoparse)
- Kretschmann,
R. / Linten, M. / Heller, L.: Literatur und Information, Datenbanken,
Fachliteratur, Literaturrecherche und- verwaltung, in: Lehrbuch für
Lernen und Technologien (2013)
- *Pscheida,
D. et al.: Nutzung von Social Media und onlinebasierten Anwendungen
in der Wissenschaft, Ergebnisse des Science 2.0-Survey 2014
- **Fingerle,
B.: Forschungstools
im Überblick (ZBW Blog, 2017)
- Mögliche Systematik
von Tools ...
- Terminorganisation,
z.B. persönliche Kalender bzw. PDA
- Kollaborativer
(Dokumenten-)Austausch: Mailinglisten, Wikis, Dropboxes / Filesharing,
z.B. google docs,
dropbox.com oder GitHub
(gemeinsame Software-Entwicklung) oder slideshare
(PPT-Folien)
- Literaturverwaltung
- Werkzeuge zur Quellen- und Dokumentenverwaltung, z.B. Citavi,
Zotero oder Auratikum
- Datensicherung
und Datentransfer, z.B. figshare
(Datenspeicherdienst für Forschungsergebnisse, aber auch einzelne
Datensätze, Graphiken etc.), zenodo
speziell auch: Forschungsdatenmanagement,
z.B.re3data (Wegweiser
zu Forschungsdatenrepositorien)
- optional: Publishing
(Open Access), z.B. in fachlichen Repositorien (z.B. zenodo),
OA-Journals etc.
B. Exploration zur
Praxis des PIM
- Exploration und
Reflexion der verwendeten Forschungstools/Methodiken im Rahmen des PIM
für die Befragung von ....
- weitere ausgewählte
Gruppen (z.B. ausgewählte Masterstudiengänge am Campus
Dieburg)
- was möchten
wir in Erfahrung bringen? Ein erstes mögliches Brainstorming
....
- welche Erfahrungen
bzw. berufliche Position im Forschungsprozess, seit wann dabei, wieviele
Publikationen?
- verwendete Tools,
insbesondere ...
- Vorgehen bei
der Literaturrecherche, verwendete Informationsdienste
- Erfahrungen mit
Akademischen Netzwerken (ResearchGate ...)
- Erfahrungen mit
Literaturverwaltung
- Erfahrungen mit
Forschungsdatenmangement
- Erfahrungen mit
OA
- Erfahrungen mit
KI (ChatGPT etc.)
- alternativ kann auch
eine fortgeschrittene Gruppe von Studierenden (Mindestabschluss
BA) eines benachbarten Masterstudiengangs am Campus für die
Exploration herangezogen werden
- weiterführende
Informationen
- Exploration des
Informationssuchverhaltens (ISP) im Sinne von persönlich bzw.
telefonisch oder online geführten leitfadengestützten Interviews
für die Befragung (z.B. von Professor*innen des Studiengangs OK bzw.
OJ bzw. Media bzw. BWL am Campus Dieburg) oder fortgeschrittene Masterstudierende
am Campus (ausgewählte Masterstudiengänge am Campus Media bzw. BWL
...)
- was möchten
wir in Erfahrung bringen?
- Anlässe,
Situationen der Informationssuche
- Ablaufprozesse
(festgelegt nach einem bewährten Schema/Reihenfolge oder eher
unstrukturiert)
- Veränderungen
im Infomationsverhalten (z.B. vom pull zum push-Prinzip, spielt die
zunehmende Digitalisierung eine Rolle? Nutzung einer Bibliothek -
vor Ort etc.)
- verwendete Informationsressourcen
(häufig oder eher selten bzw. Abneigung, Kritik an Ressourcen
etc.)
- sog. proaktive
Informationsressourcen (Konferenzen, Meetings, befreundete Wissenschaftler
etc....)
- sog. kritische
Ereignisse bei der Informationssuche (auch um den Erinnerungsprozess
der Befragten anzuregen, z.B. gab es einmal Probleme etc.?)
- optional: Interview-Teilnehmer
zeichnen dann eine handschriftliche Information Map, aus der die verwendeten
Informationsressourcen und ihre Querverbindungen zueinander bzw. persönlichen
Bedeutungen hervorgehen
- weiterführende
Informationen
- für den
ersten Überblick
- Greifeneder, E. / Schlebbe, K.: Information Behaviour,
in: Kuhlen, Rainer et
al. (Hrsg.): Grundlagen
der Informationswissenschaft, Berlin 2023, Kap. D 1
- Lewandowski,
D. / Womser-Hacker, C.: Information Seeking Behaviour, in: Kuhlen,
Rainer et al. (Hrsg.): Grundlagen
der Informationswissenschaft, Berlin 2023, Kap. D 6
- Schlebbe,
K. / Greifeneder, E.: Information Need, Informationsbedarf und
-bedürfnis, in: Kuhlen, Rainer et al. (Hrsg.): Grundlagen
der Informationswissenschaft, Berlin 2023, Kap. D 5
- Irle, G.:
Emotionen im Information Seeking, in: Kuhlen, Rainer et al. (Hrsg.):
Grundlagen
der Informationswissenschaft, Berlin 2023, Kap. D 4
- Arbeiten mit
den sog. "Information Horizons"
- Sonnenwald,
D., Wildemuth, B. u. Harmon, G.: A Research Method to Investigate
Information Seeking Using the Concept of Information Horizons
- an Example from the Study of Lower-Economics-Students' Information
Seeking, in: The New Review of Information Behavior Research 2
(2001), S. 65-86
- Sonnenwald,
D.: Evolving Perspectives of Human Information Behavior - Contexts,
Situations, Social Networks and Information Horizons, in: Wilson,
T./Allen, D. (Hrsg.): Exploring the Contexts of Information Behaviour,
London 1999, S. 176-190
- **Geschuhn,
K.: "Wenn man jemanden kennt, der sich auskennt ...“
: Erkenntnisse aus einer Studie zum Informationsverhalten in den
Biowissenschaften nach Sonnenwalds „Information Horizons“,
in: Informationswissenschaft zwischen virtueller Infrastruktur
und materiellen Lebenswelten : Proceedings des 13. Internationalen
Symposiums für Informationswissenschaft (ISI 2013), Potsdam,
19. bis 22. März 2013 / hrsg. von H.C. Hobohm. - Glückstadt:
Hülsbusch, 2013, S. 132-145 (sehr gute, kompakte Einführung)
- Haase, J.:
Information Beavior am Studiengang "Wissenschaft - Medien
- Kommunikation" (KIT Karlsruhe) - untersucht nach Sonnenwalds
Methode der Information Horizons, unveröffentl. Masterarbeit,
h-da, 2016
C. Weitere Seminarbeteiligung:
individuelle Ausarbeitungen zu folgenden Themen (je 1 bis max 3 Personen
pro Thema)
- Vergleich bzw. Vorstellung/Analyse/Bewertung
verschiedener Forschungstools im Hinblick auf das PIM von Forschenden
...
- Wissenschaftliche
Suchwerkzeuge (Suchmaschinen): google scholar, BASE etc. versus Fachportale
und Fachinformationsdienste (FID)
- Wissenschafts-Netzwerke,
Funktionalität und Vergleich der Möglichkeiten: ResearchGate,
Academia, Humanities Commons etc.
- Literaturverwaltungssysteme,
Funktionalität und Vergleich der Möglichkeiten: Citavi, Zotero,
Endnote, Mendely - und noch sehr neu: Auratikum (digitaler Zettelkasten)
- Möglichkeiten
der digitalen Evaluation im Forschungsprozess mit PUBPEER und altmetric
- Socialbookmark-Systeme
- Funktionalitäten und Anwendungsvergleich: BibSonomy, reddit, folkd
- Datensicherung, Datenspeicherdienste:
figshare, zenodo
- Wissenschaftliches
Arbeiten und KI - neue Perspektiven oder Bedrohung?
- Exploration/Bestandsaufnahme:
Gibt es bereits Bibliotheken, die spezielle Schulungsmaßnahmen und
Aktivitäten im Zusammenhang mit der Förderung eines (digitalen)
PIM anbieten?
- eigene Themenvorschläge
sind selbstverständlich möglich
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